Als Jesus endlich auf dem Berg Golgota ankommt, nehmen ihm die Soldaten seine Kleider ab. Sie geben ihm mit Galle vermischten Wein, den Jesus aber nicht trinkt. Die Soldaten nageln Jesus ans Kreuz und teilen dann seine Kleider unter sich auf.
Mit Jesus werden auch zwei Verbrecher gekreuzigt, ihre Kreuze stehen zu beiden Seiten Jesu. Die Soldaten und die Menschenmenge verhöhnen und beschimpfen Jesus.
Schamesröte, gesenkter Blick und eingefallene Schultern, der Gedanke an einen Rückzug in die Embryo-Haltung, unter die dunkle Decke, oder gar in den Erdboden zu versinken vermag sich Bahn zu brechen. Rückzug im Zuge von Beschämung, eine leer gefegte, blanke Gedankenwelt.
Gegenteilig ist es, Haltung zu bewahren:
Doch Jesus Christus betet für sie und bittet Gott um Vergebung: »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.«
Jesus zieht sich nicht zurück. Er hat nicht die Möglichkeit dazu, ist ausgeliefert und gibt sich der Situation hin. Lässt alles um sich geschehen. Er ist „nicht am Boden zerstört“, sondern wird in der vermeintlichen Unterlegenheit am Kreuz zur Schau gestellt. Vor den Soldaten, den Verbrechern, der Menschenmenge.
Jesus scheint über ein Bewusstsein seiner Selbst zu verfügen. Der Aufgabe, der Bedeutung des eigenen Seins, auch wenn im Moment der Eindruck von Nichtigkeit und des Versagens, der Demütigung dominiert. Doch so leistet selbst ein kleines Zahnrädchen im großen hochkomplexen Uhrwerk einen essentiellen Beitrag dazu, dass das Gesamtkonstrukt nicht zum Stillstand kommt. Von außen und der Distanz betrachtet scheint oft vieles „einfach so in seinen Bahnen zu laufen“. Aber zum Gesamtgefüge trägt jeder Einzelne mit kleinen Entscheidungen bei.
Im Lukasevangelium heißt es Es war aber auch oben über ihm geschrieben die Überschrift mit griechischen und lateinische und hebräischen Buchstaben: Dies ist der Juden König.
Zuschreibungen und Kategorisierungen begegnen uns auch in unserem Alltag. Rollen, in denen wir scheinbar gefangen sind und die uns unser Verhalten vorgeben. Manchmal mag dies Erleichterung sein, um nicht vor unzählige Entscheidungsfragen gestellt zu sein: Um Erwartung A gerecht zu werden, muss Tat B umgesetzt werden. Aber die Zwänge können ebenso eine Bürde sein. Mit dem Beginn der Pandemie wurden unsere vorgegebenen Alltagsbahnen disruptiv durchbrochen. Vieles musste neu ausgerichtet werden. „Richtig“ und „Falsch“ wurden neue Prämissen zu Grund gelegt.
Es ist einige Zeit vergangen, seit Jesus zu vergeben wusste. Nach Erfahrungen der Demütigung, der Bloßstellung. Ich kann mich fragen, ob ich persönlich mich zu schnell aus der Bahn werfen lasse. Vieles zu persönlich nehme und mich nicht dazu in der Lage fühle, rein objektiv zu bewerten, wäre es doch mein Wunsch, um mein Handeln im globalen und Kontext bestmöglich auszurichten. Gleichzeitig werfe ich mir vor, zu egozentrisch veranlagt zu sein, mir zu viel zuzusprechen, die Welt retten zu können. Dann möchte ich zur Demut übergehen, mich als Bindeglied sehen, Zusammenhalt schaffen, einfach zu sein. Schlicht dadurch, dass ich bin. Im Wissen und Vertrauen darauf, von Gott nicht verurteilt zu werden. Jesus bittet um Vergebung, auch für die, die ihm Leid zugefügt haben – physisch und verbal.
Ich kann mich für Gedanken schämen, wie ich andere Menschen und ihre Entscheidungen beurteile. Reaktionen auf Situationen, die mir im Nachgang unangenehm sind. Ich hänge in Gedanken hinterher, ob ich in Situation A nicht besser anders gehandelt hätte. Ist mir aufgefallen, dass ich mich selbst verurteile dafür, nicht immer zu hundert Prozent in all den Alltagsentscheidungen zur Deckung der Grundbedürfnisse mit meinen in anderen Lebensbereichen artikulierten Überzeugungen und Erwartungen an das Handeln anderer Gesellschaftsmitglieder konform zu sein? Habe ich verzagt und mich zurückgezogen, keine Entscheidung mehr getroffen? Eine „Alles-Egal“ Haltung eingenommen? Wenn ja, war dieser Stillstand nicht sogar noch schlimmer? Das Zurückkriechen? Es wird dann doch erst besser, wenn man in den Austausch tritt? Lebt. Zu seinen Herzensthemen steht. Nicht verzagt. Wann kommt aber der Punkt, an dem ich begreifen muss „hier geht es gerade so nicht weiter“, „hier bin ich machtlos?“. Ich habe alles gegeben, aber nun bin ich der Fremdbestimmung ausgeliefert. Und ich freunde mich mit dem Gedanken an, die Zügel aus der Hand zu geben.
Im Vertrauen darauf, dass es einen Rückhalt gibt, auch wenn dieser zunächst nicht spürbar ist.
Zu sich selbst stehen und sich selbst annehmen, bei sich bleiben und die Werte spüren, als Lernerfahrung mitnehmen, aber nicht überbewerten, mit Wohlwollen in den Erfahrungsschatz aufnehmen und um Verzeihung und Vergebung bitten. Und sei es nicht im direkten Austausch mit der Person auf Erde, sondern der Bitte vor Gott, dass vergeben werde.
Bedingungsloses Vertrauen, füllender Bestandteil eines großen Ganzen zu sein. Aus dem Austausch und der bewussten Formulierung von Gedanken sich selbst gewahrer zu werden. Anzuerkennen, wo die Grenzen des eigenen Tuns sind.
Herr,
vergib allen die Unrecht tun, denjenigen die sich lustig über andere Menschen machen. Gib ihnen die Einsicht, dass sie Gutes tun können.
Lass mich nicht alleine, hilf mir in ausweglosen Situationen, sei bei mir.
Lasse das Gefühl der Scham nicht über mich kommen, gib mir genug Kraft über dem zu stehen, was ich alltäglich mache oder auch Neues ausprobiere.
Sei du an meiner Seite.
Hilf mir, andere anzunehmen, wie sie sind.
Hilf mir, immer gerecht zu anderen zu sein.
DU bist immer an meiner Seite und lässt mich das Positive und Schöne in anderen sehen.
Lass mich mein Ziel nicht vergessen. Begleite mich auf meinem Weg.
Hilf allen, die nicht auf ihrem richtigen Weg sind, weise du ihnen den Weg.